Kapitel 22


Grace stürzte Hals über Kopf den Gang entlang, ohne auf ihren Weg zu achten. Dylan Nite wusste von Marcus. Er wusste davon was ihr geschehen war. Und schlimmer noch, ihre Großmutter wusste Bescheid und sie hatte es ihm verraten.

Sie stolperte und gab ein erschrockenes Keuchen von sich, als sie zu Boden ging. Grace fixierte den dicken Teppichboden vor sich, der ihren Sturz abgefedert hatte. Großer Gott, ihre Großmutter wusste es! Ihre Grandma wusste, was Marcus ihr angetan hatte. Dylan Nite wusste es und keine Ahnung wer noch.

Nie wollte sie, dass jemand aus ihrer Familie Wind davon bekam, was ihr dieser Mistkerl angetan hatte. Wussten es auch die anderen? Die einzige, der sie alles erzählt hatte war April gewesen und dem Officer, der ihren Fall bearbeitet hatte. Ihre Mum wusste nur die Hälfte. Was mehr als genug war. Wahrscheinlich wusste auch ihre Großmutter nicht mehr. April hatte bestimmt keines ihrer Geheimnisse ausgeplaudert.

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie als kaputt ansah. Am aller wenigsten ihre Familie. Es ging ihr gut. Vielleicht würde sie nie wieder einen Kerl in ihr Leben lassen, aber das war schon okay.

Es war besser als die Alternative.

Ihre Hände zitterten. Sie war keine verfluchte Puppe, mit der man anstellen konnte, was man wollte. Und ihre Großmutter, sie wollte nicht, dass ihre Großmutter weniger von ihr hielt und auf Dylan Nites Mitleid konnte sie verzichten.

Sie brauchte seine Entschuldigungen nicht, oder seine Rücksicht. Sie wusste, was Männer wie er zu geben hatten und sie konnte darauf verzichten. Für immer.

„Grace?“, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.

Sie sah auf, nur um sich Eric Hayden gegenüber zu finden, der erstaunt die Augenbrauen nach oben gezogen hatte. „Was tun Sie da?“

„Ich…“

„Sagen Sie nichts. Sie flüchten vor meinen Trainern, richtig?“ Er lächelte amüsiert und Grace bemühte sich, die Tränen, die so dicht unter der Oberfläche warteten, zurückzudrängen. „Dieses Wachhundgehabe meiner Trainer halte ich persönlich für etwas übertrieben, aber die Spieler gehen einfach zu gerne feiern. Ihr Interview mit Clint ging wohl etwas länger?“

Vor Eric einen in Tränen auszubrechen wäre alles andere als hilfreich und so suchte sie nach ihrer Stimme. „Sie haben mich erwischt“, gab sie kleinlaut zu. „Clint musste eine Angelsendung sehen. Das hat die Beantwortung der Fragen verzögert.“

„Verstehe.“

Erics Hand war warm, als er ihr sie anbot und sie zurück auf die Füße zog. „Clint war also mal wieder ganz er selbst. Schätze es hat Sie ein wenig auf die Palme gebracht?“

„Nur ein wenig“, bemühte sich Grace um Contenance und zwang sich Dylan und ihre Grandma aus ihren Gedanken zu vertreiben.

Erics dunkle Augen fanden ihre. „Sie sind eine miese Lügnerin.“

Sie rang sich ein Lächeln ab. „So schlimm war’s wirklich nicht.“

Er glaubte ihr kein Wort, das verriet ihr seine Miene, doch er gab nur ein Seufzen von sich. „Dann muss ich wohl warten, bis ich es lesen kann.“

*

Dylan starrte an die Decke seines Hotelzimmers. Grace Goodwin war vor ihm davon gerannt und egal wie man es drehte und wendete: Er war eine verfluchte Petze. Ihre Großmutter hatte es ihm verraten und sie hatte ihm gesagt, dass Grace bis heute nicht klar war, dass Blanche davon wusste.

Er und seine vorlaute Klappe! Normalerweise posaunte er keine Geheimnisse aus. Er war nicht eine von diesen Tratschtanten. Er hasste Tratsch. Schon immer.

Er bließ die Backen auf.

Dylan hatte sich mies gefühlt und Grace zu sagen, dass es ihm Leid tat und er wusste was mit ihr los war, das war ihm so einfach erschienen. Er hatte mal wieder nicht nachgedacht, bevor er gehandelt hatte und jetzt hatte er den Salat.

Besser gesagt, hatte er jetzt sein Wasser und seine Chips für sich alleine und ein noch schlechteres Gewissen als vorher.

Ziemlich sicher würde ihm Blanche Goodwin den Kopf abreißen und ihre Enkelin, was ihre Enkelin von ihm hielt, das wollte er lieber nicht wissen.

*

Grace bedankte sich höflich bei Eric, nachdem er sie bis zu ihrem Auto geleitet hatte und wank ihm noch einmal zu, ehe sie vom Hof fuhr. Ihr Lächeln verschwand, als ihr Toyota die Lichter der Parkplatzbeleuchtung hinter sich gelassen hatte und Eric in ihrem Rückspiegel nicht mehr viel mehr als ein Schemen war.

Sie schaffte es, die bewachte Schranke des Trainingslagers zu passieren, ehe sie rechts ran fahren musste, weil ihre Sicht um sie herum schwand.

Sie hatte diese Linie gezogen, zwischen ihrer Familie und ihrer Vergangenheit, zwischen sich und ihrer Vergangenheit. Zwischen dem was passiert war, mit dem sie nicht klar kam und dem, mit dem sie leben konnte. Sie hatte es begraben, damit sie wieder atmen konnte. Und Dylan Nite hatte nicht das Recht es zu wissen! Er hatte kein Recht den Schatten zu kennen, der sie verfolgte!

Auf eine perverse Art und Weise gehörte er ihr allein. Sie hatte gelernt damit zu leben, auch wenn sie manchmal nicht atmen konnte. Weshalb das so war, das ging einen Dylan Nite nichts an.

Dylan Nite mochte nicht Marcus sein, aber er war ein oberflächlicher Idiot, dessen Lebenssinn darin bestand einem Ball hinterher zu laufen. Nein, von allen Menschen auf diesem Planeten war Dylan der letzte, dem sie erzählt hätte, was passiert war.

Sie brauchte sein Mitleid nicht oder seinen neugefunden guten Willen ihr gegenüber. Sein Mitleid war schlimmer, als jede Beleidigung.

Grace sank gegen ihr Lenkrad. Sie hätte gerne um sich geschlagen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Sie heulte und sie wusste, sie heulte nicht wegen der Tatsache, dass Dylan Nite ein Arsch war, sondern sie heulte um die Frau, die sie einst gewesen war, bevor Marcus sie in seinen Fingern hatte.

Es würde nie wieder so sein, wie es war. Er hatte es ihr weggenommen. Das Gefühl von Sicherheit. Das Gefühl von Wagemut. Das Gefühl sich einfach fallen zu lassen.

Seit jener Nacht war alles weg.

Grace Goodwin war nur noch ein Schatten ihrer selbst und sie hasste sich selbst dafür, dass sie so schwach war. Dass sie nicht mehr das Gefühl hatte, die ganze Welt erobern zu können, sondern das Bedürfnis sich in ihrem Haus einzuigeln.

Das war es, was Marcus ihr genommen hatte. Und das würde auch nie wieder zurück kommen. Denn das Leben war kein scheiß Film, oder schlechtes Schnulzbuch, indem Vergewaltigungen und verprügelt werden in unendlicher Liebe resultierten. Das einzige was dieser Horror brachte, war das Gefühl nicht mehr sicher in seinem eigenen Körper zu sein.


 

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Eliza Hill