Kapitel 9


Grace ließ ihren kleinen Toyota  langsam über den Parkplatz des Einkaufscenters rollen, auf der Suche nach einer passenden Parklücke. Mr. Palmer und ihre Chefin hatten ihr praktisch keine andere Wahl gelassen, als ihrem Vorschlag zuzustimmen und nun war sie dazu verpflichtet ihrer persönlichen Hölle entgegenzutreten.
Sie entdeckte April vor dem Haupteingang. Eine Hand am Telefon, in der anderen ihre Handtasche, während sie die Spitze ihrer High Heels in den Asphalt bohrte. Ihr langes, schwarzes Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten gebunden und an ihrer hochgewachsene Gestalt hing an weißes Sommerkleid, das sich auf das vorteilhafteste von ihrer olivfarbenen Haut abhob.
April sah auf, als Grace auf den Parkplatz zu ihrer linken steuerte und schob ihre Handtasche in ihre Armbeuge.
„Da bist du ja endlich.“ April blinzelte gegen die Sonne an. „Dachte schon, du lässt mich alleine hier stehen.“
„Du verwechselst mich mit dir“, gab Grace zurück und betätigte ihren Fensterheber, ehe sie den Motor abstellte.
„Ich habe schon lange keine unserer Verabredungen mehr vergessen.“ Aprils Mundwinkel verzogen sich zu einem koketten Lächeln. „Oder willst du das Gegenteil behaupten?“
„Niemals.“ Grace stieg aus ihrem Auto und schob ihre Sonnenbrille zu recht.
„Bist du Undercover hier?“, wollte ihre Freundin verschwörerisch wissen. „Oder weshalb die Sonnenbrille?“
„Ich habe miserabel geschlafen.“
April zog ihr die Brille von den Augen und gab ein Keuchen von sich. „Oha.“
„So schlimm?“
„Sagen wir’s mal so. Diese Idee von dir, die sollte besser funktionieren, ehe deine Augenringe an deinen Zehen ankommen.“ April betrachtete die schwarzen Gläser der Pilotenbrille prüfend und hob sie sich vor die Augen. „Und blind bist du geworden. Himmel. Was für eine Dioptrienzahl ist das?“
„Zwei.“
April setzte ihr ihr Accessoire zurück auf die Nase. „Hier, du blindes Huhn.“
„Danke.“ Grace kämmte sich ihr Haar ein wenig ins Gesicht, ehe sie ihre Finger tiefer in den Anhänger ihres Autoschlüssels bohrte. „Wollen wir?“
„Wann immer du willst.“
„Ich komme mir total bescheuert vor.“
„Musst du nicht.“ April nahm ihre Hand. „Da stehen ganz viele Leute herum und glotzen. Ich habe vorhin schon geguckt.“
Grace schluckte hart. „Ich verstehe diese Begeisterung für diese Berge nicht. Wenn ich nicht an meiner …Phobie arbeiten würde, wäre ich gar nicht hier.“
„Eigentlich ist die Idee ganz nett. Die Rookies tun etwas für die Bewohner der Stadt, indem sie beim Bau der Sozialbauwohnungen helfen. So bringen sie sich ein und die Leute können die neuen Jungs kennenlernen, die sie vielleicht diese Saison bejubeln werden.“ April zuckte mit den Schultern.
„Wir gehen also wirklich Männer anstarren, die Nägel in Holzbretter schlagen?“
April gab ein Glucksen von sich. „Hey, das war deine Idee.“
„Das heißt nicht, dass ich es nicht albern finde.“
Es war heiß. Auf dem Parkplatz staute sich die Hitze. Über den Autos flirrte die Luft in der prallen Mittagssonne. Nachher würde der Innenraum ihres Autos kochen, wenn sie sich allzu viel Zeit bei ihrer Unternehmung ließ.
„Wir müssen nicht lange bleiben.“
„Nein, das müssen wir nicht“, wiederholte April beruhigend und Grace schämte sich für ihre kindische Angst vor der Männerwelt. Es gab sicher hunderte Frauen, die das gleiche wie sie erlebt hatten und keine Angst davor hatten einem Kerl auf der Straße zu begegnen, der eventuell ein Körnchen Ähnlichkeit mit ihrem Ex hatte. Es war total irrational.

 

°°°

 

Hinter dem Einkaufscenter herrschte das herrlichste Chaos. In einem eingezäunten Arial, vor dem sich eine Menge Zuschauer versammelt hatte, turnten ein paar Jungs in Helmen umher. Zum Schutz der wertvollen Spieler vor der Sonne hatte man ein paar weiße Plastikpavillons aufgestellt und die Teamfahnen, die man aufgehängt hatte, hingen träge in der stehenden Luft, während das Heulen einer Kreissäge und das stete Hämmern darauf schließen ließen, dass sich tatsächlich jemand die Mühe machte sich die Hände schmutzig zu machen.
„Wollen wir weiter vor? Man sieht ja gar nichts“, hakte April nach.
Grace fühlte sich eigentlich ganz wohl in der letzten Reihe, außerhalb der schwitzenden Menschenmenge und außer Sichtweite der Spieler, von denen sie nur die Köpfe unter ihren Plastikhelmen erahnen konnte.
„Mh.“ Aprils Handfläche war warm, die sich um ihre Finger geschlungen hatte. Sie war schon immer die mutigere von beiden gewesen. Selbst als sie noch kleiner waren. Im Windschatten ihrer besten Freundin konnte es wagen. Bestimmt sogar. April machte es vor und sie tat es ihr nach. Hasenfuß, hatte April sie immer genannt, wenn sie sich nicht traute. Es hatte nicht mehr gebraucht als das eine Wort und einen Schubs von ihr und sie hatte es ihrer vier Tage älteren Freundin nachgetan. Aber hier half kein spöttisch hin geworfenes „ Hasenfuß!“ und das wusste auch April.
Grace betrachtete den Nacken des Halbwüchsigen vor sich, auf dem der Schweiß glitzerte. Der Kragen seines Poloshirts war bereits ganz durchgeschwitzt. Es waren genug Leute hier. Sicherlich sahen nicht alle dieser Jungs so furchterregend aus wie Dylan. Immerhin kamen die meisten von ihnen direkt vom College. Sie hatten noch keine Profisaison gespielt. Das hier war die Light- Variante von dem was sie erwartete.
„Na schön.“
„Ja?“ Aprils Griff wurde ein wenig fester. „Dann komm.“

 

°°°

„Ein wenig weiter rechts! Stopp. Nein, nein… es ist immer noch nicht gerade“, dirigierte Misses Fielding Dylans Tun. „Also ich weiß nicht. Kommen sie mal da runter. Ich glaube es ist immernoch schief.“
Dylan, der die letzte halbe Stunde damit verbracht hatte den alten Ölschinken über die Wand in Misses Fieldings Zimmer zu schieben, gab ein leises Ächzen von sich. Ihm taten die Arme weh. Der Rahmen dieses Monstrums wog sicherlich zwanzig Pfund. „Kleinen Augenblick, Misses Fielding.“ Die bettlägerige alte Dame war eine äußerst schwer zufriedenstellende Kundin. Er kletterte die drei Stufen von der Leiter herunter und trat neben sie ans Bett.
„Und?“
„Ist schief“, stimmte er ihr zu. „Wenn Sie mit mir fertig sind, habe ich Muskelkater an ein paar Stellen, von denen ich noch gar nicht wusste, dass ich sie habe.“
„Vor fünfzig Jahren hätte ich diesem Satz noch eine andere Bedeutung zugemessen.“ Die alte Dame gab ein Lachen von sich, das Dylan ansteckte.
„Waren sie früher ein böses Mädchen, Misses Fielding?“
„Das schlimmste.“ Mit ihrem schütteren Haar und den eingefallenen Wangen, war die kleine Frau zwar deutlich vom Alter gekennzeichnet, aber in ihren blauen Augen konnte er den Schalk lesen.
„Dann geben sie also zu, dass sie mich schon seit Stunden über die diese Wand jagen, weil sie mir auf den Hintern starren wollen?“
„Vielleicht.“ Misses Fielding zuckte mit den Schultern.
„Ihr Mann hatte definitiv seinen Spaß mit ihnen.“ Dylan ließ sich auf ihre Bettkante sinken. Er mochte die alte Dame, die ihn so gern umher scheuchte. „Aber sie sind eine echte Sklaventreiberin.“
„Sie sind doch noch jung und knackig! So schnell sind sie aus der Puste zu bringen?“
„Sie machen mich fertig.“ Dylan erhob sich, um erneut den Kampf mit dem großen Ölschinken aufzunehmen.

 

°°°

„Oha.“ Die Jungs waren riesig. Sowohl in der Breite wie auch in der Höhe. Schränke. Laufende Muskeln. Sicher ein paar hatten ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, aber das machte es eher noch schlimmer. In ihren roten Shirts auf denen in Weiß und Orange ihre Namen auf dem Rücken prangten waren sie alles wovor Grace, wenn sie konnte, Reiß aus nahm. Aber keiner von ihnen hatte das Potential sie so sehr zu ängstigen wie Dylan mit seinen Eisaugen und dem Killergesicht.
Grace brach der Schweiß aus und es lag eher an der dicht zusammengedrängten Menge, die sie umgab.
„Und?“, fragte April besorgt nach.
„Geht.“ Sicherlich würde es Grace ganz anders werden, wenn sie erst alleine mit einem dieser Bollwerke wäre, aber im sicheren Schoß der Menschenmenge, getrennt von einem Absperrband, fühlte sie sich ganz okay. Es war nicht halb so schlimm wie erwartet.
Einer der Jungs hatte die Spitzen seines krauses Haar, das er in feinen Rastas trug,  in den Teamfarben eingefärbt und Grace gab zu, dass sie ihn sogar ganz niedlich fand. Er war nicht ganz so breit wie die anderen und das fein gemeißelte Gesicht sprach von zu viel Unfug, den er im Kopf hatte. „Leonard Armeo“, entzifferte sie seinen Nachnamen, als der Spieler ihr den Rücken zu wand.
„Der ist süß.“ April nickte in die gleiche Richtung, in die Grace geblickt hatte.
„Ja.“ Sie straffte die Schultern. „Ziemlich süß.“ Vielleicht würde sie diese Interview Serie ja tatsächlich durchstehen.


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Eliza Hill