Kapitel 7


Grace starre die Visitenkarte an, auf deren Rückseite er seine Adresse geschrieben hatte und schob ihre Brille zu Recht. Sie hatte miserabel geschlafen und ihr Kopf pochte, als würde er von einem Schlagbohrer bearbeitet.
Wenn sie es richtig angegangen hätte und nicht Hals über Kopf ihre Drohung ausgesprochen hätte, wäre sie sicher nicht in die Verlegenheit gekommen alleine vor Dylan Nites Penthouse zu stehen. Sie versuchte sich zu Raison zu rufen. In ihrem bisherigen Leben hatte sie es schon mit so einigen aufgenommen und auch ihr Exfreund hatte sie nicht klein bekommen. So sehr er es auch versucht hatte. Trotzdem konnte sie sich nicht überwinden endlich an der Tür zu klingeln.
Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass sie noch zwei Minuten hatte. Zwei Minuten in die sie noch ein wenig die Tür anstarren  und nach ihrer Contenance suchen würde. Zumindest hatte sie das vor, als die Tür aufgerissen wurde.
„¡Hola! Finden Sie die Klingel nicht?“ Eine Mittvierzigerin in Hausmädchentracht strahlte ihr entgegen.  „Ich bin Rosa. Kommen Sie rein! Mr. Nite  ist im Fitnessraum. Ich bringe Sie zu ihm.“ Rosa, die einen Putzlumpen in der Hand hatte, wank sie übermütig hinein. „Sie sind doch die Reporterin?“
Grace schluckte. Sie war nicht allein. Sein Hausmädchen war hier. „Ja.“
Im Hintergrund konnte sie irgendeine undefinierbare Musik hören.
„Wundervoll! Kommen Sie, kommen Sie!“ Rosa warf ihren Lappen auf das Regal in der Diele und hielt direkt auf die Wendeltreppe zu ihrer Linken zu.
„Geht das wirklich in Ordnung, dass ich ihn beim Trainieren störe?“
„Er hat’s gesagt.“ Rosa grinste. „Ich kann nur hoffen, dass er für Sie seine schreckliche Musik ausmacht.“
Grace umfasste ihre Handtasche etwas fester, während sie Rosa hinterher stieg.
Im unteren Stockwerk schlug ihr das laute Gebrüll wütender Rapper entgegen und ihr wurde kalt. „Gehen Sie rein! Er beißt nicht. Auch wenn er so aussieht.“ Rosa bedeutete ihr durch die Tür zu gehen.
Vielleicht hätte Grace einen Herzschrittmacher mitnehmen sollen, anstatt des Pfeffersprays, schoss es ihr durch den Kopf, als sie Dylan auf dem Laufband entdeckte. Er hatte auf sein Shirt verzichtet. Stattdessen hatte sie freien Blick auf seinen gestählten Körper, dessen sehnige Muskeln sich in wildem Spiel befanden.
Das wütende Geschrei des Rappers in den Ohren und Dylan vor Augen wurde ihr übel.

 

°°°

Grace kam stocksteif durch die Tür gewankt. Eine leichte Sommerjacke in der einen Hand, die andere um ihre Handtasche gekrallt, machte sie den Eindruck, als müsste sie sich zwingen weiterzulaufen.
„Mr. Nite.“
Dylan stellte sein Laufband ein wenig höher. „Setzen Sie sich.“ Er deutete auf die Hantelbank, die neben seinem Laufband stand.
Die kleine Reporterin trug heute eine Brille und eine weite, weiße Hose, die ihre Kurven beinahe ganz verschluckte und dazu eine Bluse, die ebenfalls viel zu weit geschnitten war.
Er fand sie sah aus, als hätte sie ihm Schrank ihrer Großmutter gewildert. Selbst ihr Haar hatte sie in eine nichtssagende Hochsteckfrisur gequetscht.
„Wollen Sie ins Altenheim ziehen? Oder wieso haben Sie sich so schick gemacht?“
„Ich…“ Sie ließ ihre Hand, die sie um den Henkel gekrallt hatte, zu ihrer Jacke wandern und wrang den Stoff aus. „Das geht Sie gar nichts an.“
„Sie wollten dieses Interview.“ Irgendwie hatte sich Dylan sehr viel mehr Spaß von diesem Interview versprochen. Ein paar hitzige Wortgefechte, die ihren Gipfel darin finden sollten, dass sie wutentbrannt aus dem Raum gestürmt wäre. Dabei hätte er im Abgang ihren Prachtarsch anstarren können und das wäre es dann gewesen.
„Ja.“ Grace sah ihn nicht einmal an, als sie sich schließlich auf die Hantelbank sinken ließ und in ihrer Tasche zu kramen begann. „Ist es okay, wenn ich das aufzeichne?“
„Mh… Sicher.“
Auf seinem Fitnessgerät sah sie winzig aus. Ein Floh in zu großen Klamotten. Er zwang sich auf die Anzeige auf der Konsole zu starren. Knappe acht Meilen hatte er schon geschafft.
Sie zog ein kleines Diktiergerät hervor und einen Block und überkreuzte die Beine artig über den Knöcheln.
Sie räusperte sich. „Danke, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen, Mr. Nite.“ Ihre Stimme klang heiser. Aber anders, als bei der Blondine gestern Abend, schien Grace wirklich Probleme zu haben ein Wort hervor zu bringen.
„Klar.“ Dylan hatte eigentlich auf die ersten Fragen überhaupt nicht antworten wollen, einfach nur um sie zu reizen, doch sie schien auch schon ohne sein Zutun verängstigt genug.
„Mr. Nite, Sie sind bereits seit drei Jahren der Quarterback der Philadelphia Wolves. Sie haben bereits einen Superbowl mit ihnen gewonnen. Was treibt Sie noch an?“
Er hatte schon ätzendere Fragen gehört und beantworten müssen. Wenn er ehrlich war, war die sogar gar nicht übel.
Er stellte das Tempo seines Laufbandes etwas herunter. „So wie sie das formulieren klingt das beinahe so, als hätte ich meinen Hunger verloren, nur weil ich mir einen Ring an den Finger stecken durfte.“
Grace antwortete ihm nicht. Stattdessen starrten ihre verschreckten Augen ihn einfach weiter an.
„Football hat keine Zeit für Stillstand. Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht verliert. Ich bin immer noch hungrig. Unser Team ist hungrig. Wir spielen, weil wir’s lieben zu spielen und wir spielen um zu gewinnen.“
Sie nickte ernst. Beinahe so, als würde sie gutheißen, was er da sagte und er stellte die Musik aus. Sie war viel zu laut. Wieso hatte Sie ihn nicht gebeten die Musik leiser zu machen?
„Viele Ihrer Teamkameraden halten Sie für einen Perfektionisten.“
Dylan verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Damit könnten Sie recht haben.“
Grace runzelte die Stirn, während ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie war kreidebleich und Dylan kam sich wie ein verfluchter Mistkerl vor. „Der Football hat mir viel ermöglicht. Er hat mich groß gemacht. Das möchte ich zurückgeben, in dem ich so gut spiele wie es mir möglich ist.“
Sie schob ihre Brille zu Recht. „Werden Sie denn nächste Saison spielen?“
Natürlich hatte sie diese Frage stellen müssen. „Es war nicht richtig, was ich getan habe. Dafür wurde ich bestraft. Ich habe meine Lektion gelernt und ich hoffe, dass ich im Trainingslager überzeugen kann. Bei meinen Fans möchte ich mich noch einmal entschuldigen.“
Sein Agent würde ihm die Füße küssen, wenn er das hier sehen könnte. Normalerweise jagte er Reporter spätestens nach der dritten Frage zum Teufel. Vielleicht hatte er der Kleinen Unrecht getan.
„Als Spieler sind sie ein Vorbild für viele. Ihre Verurteilung ging durch alle Medien und auch ihre Wut darüber.“ Grace klang nicht vorwurfsvoll. Genau genommen klangen ihre Worte nicht einmal nach einer Frage, aber Dylan hatte das Bedürfnis etwas dazu zu sagen.
„Ich halte unser Justizsystem für fair und gerecht. Die Sozialstunden schwitze ich gerade ab, aber das heißt nicht, dass ich MacDonald nicht nochmal eine verpassen würde, wenn ich die Chance dazu hätte.“
„Klingt nicht nach einem geläuterten Mann.“ Grace schien langsam aufzutauen. Immerhin klammerte sie sich nicht mehr an ihrem Diktiergerät fest.
„Ich bin ein sehr privater Mensch. Ich mag es nicht, wenn Dinge über mich verbreitet werden“, wich Dylan der Frage aus und sie nickte sehr ernst. „Ich lasse lieber meine Taten auf dem Platz für mich sprechen“, fügte er an.
„Das tun Sie zuweilen sehr eindrucksvoll.“ Grace starrte ihren Block an, während sie ihn mit ein paar Statistiken fütterte und Dylan ließ es über ihn hinweg plätschern. Sie hatte recherchiert und rechte Lust sie zum Teufel zu jagen hatte er auch nicht, weshalb er ihr auf ihre Tüftlerfragen, die ihr sicherlich irgendein Statistikfuchs eingetrichtert hatte, Rede und Antwort stand.
Fünf Meilen später bedankte sie sich schließlich für das Interview und Dylan hatte zum ersten Mal das Gefühl nicht aus einem Ring mit einem Löwen gestiegen zu sein.
Deshalb schickte er ihr noch ein beinahe gutgelauntes „Versuchen Sie niemanden mehr zu erpressen“ hinterher, während er die letzten zwei Meilen in Angriff nahm die noch auf seinem Trainingsprogramm standen.

 

°°°

Grace war stehend K.O. Aber sie hatte durchgehalten. Dylan hatte sie nicht tätlich angegriffen und ihr sogar geantwortet. Auf jede Frage, die sie sich aufgeschrieben hatte. Sie hatte sich auf das Sportliche konzentriert mit Hilfe des Wissens ihrer Großmutter. Dem ultimativen Lexikon für alles was die Wolves betraf und sie glaubte, dass Ed einigermaßen zufrieden sein würde.
Sie zumindest würde es sein, sobald sie sich wieder bewegen konnte.


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Eliza Hill